Ohne Wurzeln keine Flügel (Bert Hellinger)
Unser Leben besteht aus Geschichten, die wir lieben und uns immer wieder erzählen. Zum Festtag des 35. Jubiläums des Homöopathie-Forums möchte ich die Geschichte von den Anfängen erzählen, in der die Idee des Homöopathie-Forums entstand.
Die Lebensgeschichten der Patienten beginnen meistens in den ersten Kindertagen. Die Erlebnisse aus dieser Zeit sind oft prägend für die gesamte Entwicklung. Eine persönliche Biografie-Arbeit ist ein wesentlicher Erkenntnisschritt im Leben eines Menschen, denn aus der Distanz und im Erzählen erwächst die Erkenntnis zu dem Leben und dadurch kann die Weisheit (um mit Bert Hellinger zu sprechen: können „die Flügel“) wachsen.
Die „Zeugung“ der Idee einer Heimat für uns Homöopathen begann im Sommer 1989. Auf einem Homöopathie-Seminar in Celle saßen wir zusammen auf einer Wiese und phantasierten, wie schön es wäre, wenn es einen Ort geben könnte, an dem nur die Homöopathie gelehrt würde, und die gesamte Konzentration sich auf die von uns so geliebte Methode beziehen würde. Heilpraktiker und interessierte Ärzte sollten die Homöopathie von der Pike auf erlernen können. Das Organon wäre die Basis für die Ausbildung, und gleichzeitig wollten wir uns die Offenheit für neue Erkenntnisse und Entwicklungen seit Hahnemanns Lebenszeit erhalten. Uns war bewusst, dass das Handwerk der Homöopathie zuerst erlernt werden muss, denn wie Hahnemann uns im Organon anweist, ist dies die Voraussetzung für die Entwicklung zum „Heilkünstler“ (§ 3 Organon).
Wir waren so neugierig und bereit, die Homöopathie in die damals „neue“ Zeit zu tragen und weiterzuentwickeln. Der Zeitgeist trug unsere Vision. Auch Hahnemann hat in seinem ganzen Leben an der Homöopathie gefeilt, und wir wollten in dieser Tradition seinen Weg weiterführen. „Macht‘s nach, aber macht‘s genau nach!“ rief er uns zu. Übersetzt wären Hahnemanns Worte: „Ich habe zeitlebens weiter geforscht, macht ihr das auch! Ich habe viele Studien durchgeführt. Aber das ist noch nicht genug.“ Er spricht “ in § 180 Organon von …“der Armuth an homöopathischen Heilmitteln“ oder in § 162 …“der noch mäßigen Zahl genau nach ihrer wahren, reinen Wirkung gekannter Arzneien“. Waren doch Hahnemanns Arzneimittelprüfungen die ersten klinischen Prüfungen in der Medizin im 18. Jahrhundert. Das war ein Novum in der damaligen Zeit. Hahnemann war Aufklärer und Wissenschaftler, so war seine Materia Medica strikte Empirie, also Wissen auf Erfahrung basierend.
All dies besprachen wir auf der Wiese. Durch glückliche Umstände trafen wir uns in den Ferien wieder: Winni und Alfred Stückrad und meine Familie in einem Urlaubort auf Sardinien und begannen mit den Vorgesprächen. Mein Mann saß dabei, erfreute sich an der Begeisterung für unser Projekt und versprach, die Anfänge finanziell zu unterstützen. Damit stand der Ausführung unserer Ideen nichts mehr im Wege.
Im Herbst 1989 erweiterte sich die Gruppe und wir begannen in großer Runde einen Namen für unser „Kind“ auszuwählen. Plötzlich stand das Wort „Forum“ im Raum. War das nicht genau passend für unseren Plan? Ein Forum war in der römischen Antike der Stadt- und Marktplatz, ein Ort der Kommunikation, des Austauschs von Meinungen und Wissen. Wir wollten einen Markplatz schaffen an dem unterschiedliche Methoden, Richtungen, Ideen, Ergänzungen in der Homöopathie Raum und Zukunft bekamen.
Unser Ehrgeiz war es, durch Tun und Schaffen einen Beitrag zur Entwicklung der Welt und der Heilung der uns anvertrauten Patienten zu leisten. Uns war bewusst: Die Homöopathie, eine individuelle Therapie, sucht die Individualität des Patienten zu erkennen (§ 83 Organon „Diese individualisierende Untersuchung eines Krankheitsfalles…“) und verlangt daher auch einen individuell ausgerichteten Therapeuten und eine individuelle Organisation.
Und für diesen Prozess brauchten wir ein grafisches Zeichen, ein Logo, das uns repräsentierte und damit unsere Individualität als Gruppe ausdrückte. Es kam der Begriff des Pentagramms (des fünfzackigen Sterns) auf. Es symbolisiert den aufrechtstehenden Menschen (Leonardo da Vinci „der vitruvianische Mensch“) und die fünf Elemente Feuer, Wasser, Luft, Erde, Äther. Das Pentagramm eines der ältesten Kraft- und Schutzsymbole galt zu allen Zeiten als das Symbol für den neuen Menschen, mit anderen Worten für den wiedergeborenen Menschen. Der Patient, der homöopathisch behandelt wird, begibt sich auf seinen inneren Weg. Aber nicht nur der Patient soll durch die Behandlung mit der homöopathischen Arznei eine Neuordnung seines Systems erleben, auch der Homöopath wird sich im Prozess der Beschäftigung mit der Homöopathie entwickeln, sich entfalten.
In den um das Pentagramm gezogenen Kreis schrieben wir die griechischen Buchstaben Hygeia, den Namen der Göttin der Gesundheit. Sie ist eine der Töchter des Asklepios. Ein hehrer Anspruch!
Allerdings bekommen Symbole an sich nur dann Sinn, wenn sie im Leben verwirklicht werden. Das Pentagramm musste nun in der neu entstandenen Idee dieses Homöopathie Forums verwirklicht werden.
Nach all diesen Vorbereitungen fand die Gründungs-Versammlung im Mai 1990 statt. Die Begeisterung der Teilnehmer war überwältigend, so hatten wir schon in den Anfängen über 100 Mitglieder, die mit uns weitergehen wollten.
Die politische Situation und der Spirit der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts beeinflusste uns stark, denn Europa begann zu einer politischen Union zusammenzuwachsen. Diesem Zeitgeist entsprechend luden wir zur Gründungsversammlung den Repräsentanten einer englischen Organisation (Society of Homeopaths) ein. Stephen Gordon berichtete von den Entwicklungen der Homöopathie in England. Dadurch lernten wir einander kennen und beschlossen, dieses Feuer der Erneuerung oder Erweiterung aufzunehmen und eine europäische Gruppe zu bilden, in der die Homöopathie-Organisationen der Länder Europas einen gemeinsamen Weg gehen können. Es entstand das ECCH. Im Laufe des folgenden Jahres kamen noch weitere Länder dazu, wie Indien, Nordamerika, Canada, Australien, Neuseeland, Israel, so dass dem ECCH ein ICCH zugefügt wurde.
Das Informationszeitalter mit dem Computer war für unsere Arbeit von großer Hilfe. Mein technisch-versierter Sohn Till entwarf die erste Homöopathie-Zeitschrift des Homöopathie-Forums und gestaltete dann natürlich weiter die Logos und Grafiken für das ECCH/ICCH, so dass wir schnell optisch ansprechendes Textmaterial zur Verfügung hatten.
Für viele Jahre hatte ich die Aufgabe, das Homöopathie-Forum im ECCH/ICCH zu repräsentieren und den Weg, den wir hier in Deutschland mit der Homöopathie gingen, nach Europa und in die Welt zu tragen. Es war der Beginn von wundervollen Freundschaften mit vielen Homöopathen in der Welt. Dadurch entstand ein Austausch von internationalen Lehrern, die ihre Erkenntnisse in Seminaren vermittelten. Das Homöopathie-Forum war der Gastgeber für diesen Austausch, damit wuchs auch die Begeisterung für die Homöopathie.
Winnie Stückrad entwickelte das Projekt der einjährigen Tagesschule, einer Akademie für das Erlernen des Handwerks der Homöopathie. Ein Ambulatorium, um gleich auch den praktischen Teil zu erlernen, war wesentlich für die Anwendung des Gelernten.
Und natürlich die homöopathischen Arzneimittelprüfungen. Einer der wichtigsten Pfeiler in der Homöopathie ist die Kenntnis über die Heilmittel. Hahnemann prüfte homöopathisch potenzierte Substanzen, die ihm in der damaligen Zeit wesentlich erschienen. Er schrieb in seiner Arzneimittellehre: „Der stärksten Arznei des Arsenik, des salpetersauern Silbers, des kochsalzsauren Quecksilbers, des Sturmhuts, der Belladonna, der Jodine, des Fingerhuts, des Mohnsaftes, des Bilsenkrautes u.s.w. hat sich die gewöhnliche Arzneikunst bisher in großen Gaben und häufig bedient.“ Dies war für ihn ein Anreiz, diese Mittel in potenzierter Form selbst zu prüfen und damit die dahinterliegende heilende Kraft zu erkennen. So versuchte ich mit meinen homöopathischen Studien dem Weg Hahnemanns zu folgen. Ich fragte mich, was ist Zeitqualität „jetzt“. In den 90er Jahren war z.B. Ozon in aller Munde und natürlich in der „Zeit“ung, denn Ozon auf der Erde gefährdete die Menschen. Daher führte ich die erste Studie über das potenzierte Ozon mit den Schülern der Akademie des Forums durch. Auch die in folgenden Jahren mit Schülern durchgeführten Arzneimittelprüfungen entsprachen dem Zeitgeist, gemäß Hahnemanns Vorbild.
In den Jahren bis zum heutigen Festjahr 2025 waren viele Lernschritte wichtig, sowohl für das Homöopathie-Forum als auch für die Kollegen, die sich mit der oft mühevollen Arbeit des Aufrechterhaltens der Werte des Homöopathie-Forums und der Homöopathie-Akademie beschäftigten.
Mein Dank geht an alle Vorstandsmitglieder der letzten 35 Jahre, an alle LehrerInnen, die sich die Mühe machten, den Studierenden die Homöopathie nahezubringen, an alle weiteren HelferInnen und Freund*Innen der Homöopathie, die uns halfen, die Homöopathie in die Welt zu tragen.
Ich wünsche den Absolventen der Homöopathie-Akademie viel Freude bei der Arbeit mit den erkrankten Menschen. Ich kann aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung heraus versprechen, dass das Lernen nie aufhört und damit das Leben lebendig und vielfältig bleibt.
Anne Schadde www.anneschadde.de